Startseite Publikation DKS – Die Kaufm. Schule Ausgabe 01/22 Anrechnung von hochschulischen Kompetenzen
Am 09.11.2021 verabschiedete das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen den Runderlass zur „Anrechnung von hochschulischen Qualifikationen auf den Besuch eines Fachschulbildungsgangs der Fachrichtungen Betriebswirtschaft, Elektrotechnik, Heilerziehungspflege, Maschinenbau oder Sozialpädagogik“. Er bezieht sich auf die Verwaltungsvorschrift zu § 4 Absatz 4 APO-BK Anlage E und ermöglicht eine pauschale Anrechnung von hochschulischen Kompetenzen auf die o. g. Fachschulbildungsgänge an Berufskollegs in NRW. Hochschulisch erworbene Kompetenzen von Studienabbrecher*innen aus Studiengängen der Wirtschaftswissenschaften können somit anerkannt und mehrfache Leistungsprüfungen vermieden werden. Dieses führt zu einer Reduzierung der Weiterbildungsdauer und Arbeitsbelastung von Studierenden. Die Studierenden können schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden. Der Runderlass ermöglicht den Fachschulen eine schnelle Anrechnungsentscheidung ohne großen Arbeitsaufwand.
An den deutschen Hochschulen beenden laut des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung in einer Vielzahl von Studienfächern Studierende ihr Studium vorzeitig. Während im Hinblick auf die wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge an den Fachhochschulen 21 % der Studienanfänger*innen den Studienausstieg vor dem regulären Abschluss wählen, sind dies an den Universitäten 24 % (vgl. DZHW 2020, 1 f.). Der eingeschlagene hochschulische Bildungsweg scheint für viele Studierende nicht der richtige zu sein. Rund 43 % aller Studienabbrecher*innen suchen danach den Weg in die berufliche Bildung (vgl. DZHW 2017). Der Besuch von Fachschulbildungsgängen der Fachrichtung Betriebswirtschaft kann für Studienabbrecher*innen der Wirtschaftswissenschaften mit einschlägiger Berufsausbildung eine attraktive Alternative darstellen. Das Kompetenzniveau eines Fachschulbildungsgangs ist, nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen, dem eines Bachelorstudiengangs gleichwertig (vgl. Bund-Länder-Koordinierungsstelle für den Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (Hrsg.) 2021, 3).
Die Möglichkeit der Anrechnung von in anderen Bildungsgängen erworbenen beruflichen Qualifikationen auf die im Bildungsgang angestrebte Gesamtqualifikation besteht gemäß Anlage E der APO-BK vom 26. Mai 1999 bereits seit einigen Jahren. Allerdings hatten die Leitungen an den Fachschulen über die Anrechnung von hochschulischen Leistungen bislang nur im Einzelfall zu entscheiden. Für die Schulleitungen gestaltete sich die Ermessensentscheidung sehr aufwendig, da die hochschulisch erworbenen Kompetenzen inhaltlich mit denen des Fachschulbildungsgangs auf deren Gleichwertigkeit hin zu überprüfen waren.
Das Projekt „ReziprAn“ wurde initiiert, um für die Schulleitungen der Fachschulen ein Anrechnungsverfahren mit entsprechenden Organisationsmitteln zu entwickeln, welches die Anrechnung von hochschulischen Kompetenzen von Studienabbrecher*innen vereinheitlicht und erleichtert. Das Projekt sollte nicht nur einen Beitrag bei der Bewältigung der Anrechnungsprobleme der Fachschulen angesichts der Angebotsvielfalt an Studiengängen und Fachschulbildungsgängen leisten. Zugleich sollte es auch als ein Beitrag bei der Versorgung der zahlreichen Studienabbrecher*innen mit einer fachlich entsprechenden beruflichen Perspektive anzusehen sein. Ziel war die Entwicklung einer Anrechnungsmethodik, die die Anrechnung von ganzen Bildungsabschnitten und nicht allein von einzelnen Unterrichtsfächern ermöglicht. Gewünscht wurde ein Anrechnungsverfahren, welches die aufwendige individuelle Anrechnungsprüfung durch eine einfache pauschale Prüfung ersetzt. Die Projekt-Arbeitsgruppe „ReziprAn“ entwickelte ein entsprechendes pauschales Anrechnungsverfahren, welches als Grundlage für den Runderlass vom 09.11.2021 diente.
Das pauschale Anrechnungsverfahren umfasst den gesamten Prozess von der Information/Beratung der Studierenden über die Antragstellung und formale Prüfung der Antragsunterlagen, Anrechnungsprüfung sowie Mitteilung der Anrechnungsentscheidung bis hin zur Archivierung der Unterlagen.
Der Antrag auf Anrechnung ist mit dem Aufnahmeantrag zum Fachschulbildungsgang einzureichen. Voraussetzung ist, dass die Aufnahmevoraussetzungen zum jeweiligen Fachschulbildungsgang (wie z. B. einschlägige Berufsausbildung, Praxiserfahrungen etc.) erfüllt werden. Der Kompetenzerwerb ist durch Nachweise, wie Transcript of Records und ggf. Hochschulzeugnisse, zu belegen.
Die Anrechnungsmöglichkeit besteht für in „affinen“ und „bedingt affinen“ Studiengängen erworbene Kompetenzen. Darunter werden Studiengänge verstanden, die eine identische oder ähnliche fachliche Ausrichtung haben oder deren fachliche Ausrichtung zum großen Teil der Fachrichtung des jeweiligen Fachschulbildungsgangs entspricht, allerdings nicht ausschließlich. Aufgrund der Vielzahl an Schwerpunkten der betriebswirtschaftlichen Fachschulbildungsgänge sowie der Diversität an Studiengängen der Betriebswirtschaftslehre erfolgt die Zuordnung der Studiengänge, nach den Kriterien „affin“ und „bedingt affin“, im Hinblick auf den gewählten Schwerpunkt des Fachschulbildungsgangs der Betriebswirtschaft. Ausgenommen hiervon sind grundständige Studiengänge der Betriebswirtschaft. Diese zählen zu den „affinen“ Studiengängen, unabhängig von der Schwerpunktsetzung des betriebswirtschaftlichen Fachschulbildungsgangs.
Die Ermittlung der Affinität erfolgt anhand der im Runderlass enthaltenen „Übersichten zur Affinität von Studiengängen in NRW“. Entspricht der vorgängige Studiengang den Kriterien eines „affinen“ oder „bedingt affinen“ Studiengangs, so wird anhand der Anrechnungstabellen des Runderlasses geprüft, ob die Fachschulbildungsdauer verkürzt werden kann. Bei Vorliegen einer ausreichend hohen Affinität des vorherigen Studiengangs und einer ausreichend hohen Anzahl an im vorgängigen Studiengang erzielten Gesamtcredits ist eine Verkürzung der Fachschulbildungsdauer um ein oder mehrere Schulhalbjahre möglich. Je affiner ein Studiengang und je höher die erzielte Creditzahl, umso mehr Schulhalbjahre können angerechnet werden. Die Schulleitung entscheidet über eine Anrechnung. Die bei einer Anrechnung ggf. entstehenden Kompetenz- und Wissenslücken sind von den Studierenden während der Restdauer des Fachschulbildungsgangs eigenverantwortlich aufzuholen.
Die einzelnen Prozessschritte des Anrechnungsverfahrens werden im Runderlass sowie in der Handreichung für die mit der Anrechnung betrauten Lehrkräfte näher erläutert. In diesen lassen sich sowohl die Übersichten zur Affinität, Anrechnungstabellen als auch ein Muster-Antragsformular einschließlich Gutachten finden.
Am Beispiel der 80 Studierenden mit Berufsausbildung, die im Wintersemester 2019/2020 ihr Studium in einem der vier Studiengänge der Wirtschaftswissenschaften der FH Bielefeld abgebrochen haben, werden im Folgenden die Anrechnungsaussichten an Fachschulbildungsgängen der Betriebswirtschaft aufgezeigt. Die Aufnahmevoraussetzungen zum Fachschulbildungsgang bleiben aufgrund unzureichender Datenlage an dieser Stelle unberücksichtigt.
Bei 76 % der 34 Studienabbrecher*innen des grundständigen Studiengangs der Betriebswirtschaftslehre kann mindestens ein Schulhalbjahr auf einen betriebswirtschaftlichen Fachschulbildungsgang in Teilzeit angerechnet werden. Bei Vollzeitbildungsgängen ist die Quote etwas geringer, da bei diesen für eine Anrechnung eine höhere Anzahl an Credits mitgebracht werden muss. Sie liegt hier bei 44 %. Die pauschale Anrechnung ermöglicht sechs Studienabbrecher*innen der Betriebswirtschaftslehre die Einstufung ins vierte Schulhalbjahr bei einem Vollzeit- bzw. mindestens ins siebte Schulhalbjahr bei einem Teilzeit-Fachschulbildungsgang der Betriebswirtschaft.
Werden die Studiengänge Wirtschaftsinformatik (mit 10 Studienabbrecher*innen mit Berufsausbildung), Wirtschaftsrecht (19) und Wirtschaftsingenieurwesen (17) der FH Bielefeld je nach Schwerpunktsetzung des Fachschulbildungsgangs als „affin“ gewertet, so kann bei 84 % der Studienabbrecher*innen mindestens ein Schulhalbjahr auf einen betriebswirtschaftlichen Fachschulbildungsgang in Teilzeit und bei 65 % in Vollzeit angerechnet werden. Sieben Studienabbrecher*innen können bei einer pauschalen Anrechnung drei Schulhalbjahre bei einem Vollzeit- bzw. mindestens sechs Schulhalbjahre bei einem Teilzeitfachschulbildungsgang der Betriebswirtschaft erlassen werden.
Werden die drei o. g. Studiengänge je nach Schwerpunktsetzung des Fachschulbildungsgangs als „bedingt affin“ eingestuft, so kann immerhin noch bei 65 % der Studienabbrecher*innen mindestens ein Schulhalbjahr auf einen betriebswirtschaftlichen Fachschulbildungsgang in Teilzeit und bei 41 % in Vollzeit angerechnet werden (FH Bielefeld, Report Center (Data Warehouse), 2021).
Am Beispiel der Studienabbrecher*innen der FH Bielefeld wird deutlich, dass die Anrechnungsaussichten an Fachschulen für Studienabbrecher*innen sehr gut sind. Durch eine Verkürzung der Fachschulbildungsdauer können Studierende bereits deutlich früher in den Arbeitsmarkt integriert werden. Damit kann die Anrechnung von hochschulischen Kompetenzen einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs leisten. Gleichzeitig können die Fachschulbildungsgänge durch die Anrechnungsoption an Attraktivität für Studienabbrecher*innen gewinnen und ggf. sinkenden Studierendenzahlen an Fachschulen entgegenwirken.
Bund-Länder-Koordinierungsstelle für den Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (Hrsg.) (2021). Liste der zugeordneten Qualifikationen. Aktualisierter Stand: 1. August 2021. Unter: https://www.dqr.de/dqr/de/service/downloads/deutscher-qualifikationsrahmen-downloads.html. Datum des Abrufs: 26.11.2021.
Deutsches Zentrum für Hochschul und Wissenschaftsforschung GmbH (Hrsg.) (2017). Studienabbrecher beginnen häufig eine Berufsausbildung vom 01. Juni 2017. Unter: https://www.dzhw.eu/services/meldungen/detail?pm_id=1492. Datum des Abrufs: 01.12.2021.
Deutsches Zentrum für Hochschul und Wissenschaftsforschung GmbH (Hrsg.) (2020). Anhang zum DZHW Brief 03 2020. Die Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland. Unter: https://www.dzhw.eu/pdf/pub_brief/dzhw_brief_03_2020_anhang.pdf. Datum des Abrufs: 01.12.2021.
Fachhochschule Bielefeld, Projekt ReziprAn (Hrsg.) (2021): Pauschale Anrechnung von in vorgängigen Studiengängen erworbenen Qualifikationen auf Fachschulbildungsgänge am Berufskolleg in NRW gemäß Verwaltungsvorschrift zu § 4 Absatz 4 APO-BK Anlage E. Handreichung für Lehrkräfte in den Fachschulbildungsgängen.
Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2021). RdErl. d. Ministeriums v. 09.11.2021. In: Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen (BASS) unter der Ziffer 13–73 Nr. 32.
Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2021). Verwaltungsvorschrift zu § 4 Absatz 4 APO-BK Anlage E. In: Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen (BASS) unter der Ziffer 13–33 Nr. 1.2.
Verordnung über die Ausbildung und Prüfung in den Bildungsgängen des Berufskollegs (Ausbildungs- und Prüfungsordnung Berufskolleg – APO-BK) vom 26. Mai 1999. Zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. Mai 2020. In: SGV.NRW. S. 223.
Prof. Dr. Axel Benning – heiko.burchert@fh-bielefeld.de
Prof. Dr. Heiko Burchert – benning@fh-bielefeld.de
Claudia Küper M. A. – claudia.kueper@fh-bielefeld.de
FH Bielefeld – Fachbereich Wirtschaft
Dieser Inhalt ist geschützt