„Blended Learning“-Modelle als Entwicklungsaufgabe für die Zukunft

Die Berufskollegs stehen in Zeiten des Strukturwandels in Verbindung mit der demografischen Entwicklung, den sich verändernden Anforderungen der Arbeitswelt sowie den gesellschaftlichen Veränderungen vor großen Herausforderungen. Sie übernehmen die Rolle des Entwicklungskatalysators bei der Integration in das Arbeitsleben und der Qualifizierung der Schülerinnen und Schüler für das Arbeitsleben. 

Viele Berufskollegs haben sich auf den Weg gemacht und entwickeln stetig kreative und innovative Bildungsangebote, um ihre Schülerinnen und Schüler passgenau auf die Arbeitswelt 4.0 vorzubereiten. Dazu gehört die Vermittlung digitaler Schlüsselkompetenzen wie der sichere Umgang mit Videokonferenzsystemen und die Nutzung kollabora­tiver Arbeitsformen, die unbedingt durch Blended-Learning-Formate gefördert werden müssen. Hierfür sind Veränderungen der Rahmenbedingungen in Bezug auf Unterrichtsmodelle im Format „Blended Learning“ notwendig. 

Rechtlicher Rahmen

Als Rechtsgrundlage ist die Distanzunterrichtsverordnung1 des MSB (November 2022) nicht ausreichend, da sie nur als Ersatz für Präsenzunterricht vorgesehen ist. Das 16. Schulrechtsänderungsgesetz schafft dagegen die Möglichkeit im Rahmen von Schulversuchen, neue Organisationsformen von Unterricht genehmigen zu lassen. 

Das bedeutet zunächst für die Schulen, die Möglichkeit und die Ausgestaltung des Distanzunterrichts/Blended Learnings konzeptionell im Schulprogramm zu verankern. Auch die Nutzung der vom Schulträger bereitgestellten Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplatt­formen in digitaler Form muss durch die Schulkonferenz verpflichtend für alle Lehrkräfte und Schüler/-innen beschlossen werden.

Erfahrungen im Schulversuch RBZB 

Im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der vom MSB genehmigten Schulversuche der Regionalen Bildungszentren der Berufskollegs (RBZB)2 wurden „Blended Learning“- bzw. „Distance Learning“-Modelle in der Fachschule und in ausgewählten dualen Bildungsgängen entwickelt. 

Gründe dafür sind in der Berufsschule u. a. 

  • die o. a. gezieltere Vorbereitung der Auszubildenden auf den Berufsalltag 4.0 durch die Stärkung digitaler Handlungskompetenz, insbesondere weiterer digitaler Schlüsselqualifikationen der Auszubildenden, 
  • die Verbesserung der Selbstkompetenz der Auszu­bildenden, 
  • eine Reduktion von Fahrwegen der Auszubildenden, 
  • der Erhalt von Fachklassen (16er Regelung) insbesondere in ländlichen Regionen, 
  • das Angebot von regionalen Zusatzangeboten sowie 
  • die Einbindung von betrieblichen Experten und die Möglichkeit der Einrichtung von „Verkürzer“-Klassen über berufsübergreifende Elemente.

Seit zwei Jahren werden im RBZ Düsseldorf verschiedene Konzepte in den Klassen des dualen Systems (Anlage A) sowie den verschiedenen Fachschulen (Anlage E) zum Distanzlernen bzw. Blended Learning entwickelt. 

Bei den kaufmännischen Schulen sind alle vier kaufmännischen Berufskollegs mit unterschiedlichen Bildungsgängen beteiligt, so z. B. das Berufskolleg Bachstraße mit den Buchhändler(inne)n und der Fachschule für Handels­management, das Leo-Statz-Berufskolleg mit den Bankkaufleuten und der Fachschule für Finanzwirtschaft, das Walter-Eucken-Berufskolleg mit den Bildungsgängen Kaufleute für Groß- und Außenhandelsmanagement, Kaufleute für Marketingkommunikation, Medienkaufmann/-frau, Kaufleute für Speditions- und Logistikdienstleistungen sowie der Fachschule für Logistik und das Max-Weber-Berufskolleg mit den Patentanwaltsfachangestellten, Kaufleuten für Büro­management, Industriekaufleuten und der Fachschule für Rechnungswesen.

Blended-Learning-Konzepte

Exemplarisch sei hier das Vorgehen bei den Patentanwaltsfachangestellten und der Fachschule für Rechnungswesen sowie den Industriekaufleuten dargestellt. 

Die Patentanwaltsfachangestellten werden als Teilzeit­berufsschulklasse an zwei Tagen die Woche beschult. Als Landesfachklasse haben die Auszubildenden sehr lange Anfahrtswege. Daher wird seit 2008 ein Tag pro Woche als Distanzlerntag unterrichtet. In der Schule gibt es zwei vom Schulträger eingerichtete Räume, die für dieses „Teleteaching“ mit einer stabilen Internetleitung, einem Fest-PC mit Mikrofon sowie Lautsprechern ausgestattet sind. Die Räume werden während der Teleteaching-Tage ausschließlich dafür genutzt. Der Unterricht wird über die Konferenzsoftware Cornerstone (früher: SABA) erteilt. Die Schülerinnen und Schüler verfügen über die entsprechende Hardware und befinden sich nach individueller Absprache mit den Ausbildern an den Teleteaching-Tagen entweder in den Kanzleien oder zu Hause. Die Software wird von den Patentanwaltskanzleien finanziert.

Im Teleteaching wird rollierend (fast) jedes Fach unterrichtet. Datenverarbeitung lässt sich nicht per Teleteaching unterrichten, weil den Auszubildenden die nötigen Lizenzen für das Office-Paket fehlen. Durch das rollierende System sieht der jeweilige Fachlehrer die Auszubildenden mindestens alle vierzehn Tag auch in Präsenz. Klassenarbeiten werden in Präsenz geschrieben. Das Unterrichtsmaterial wird über Logineo NRW LMS zur Verfügung gestellt.

Ergebnisse der Zwischenevaluationen

Bei den regelmäßigen Evaluationen zeigt sich, dass die Schülerinnen und Schüler mit der Unterrichtsorganisation durchaus zufrieden sind, weil sie ihnen weite Anfahrtswege erspart.

Allerdings führen technische oder Bedienerprobleme auch zu Unterrichtsausfall. Versuche, den Messenger von Logineo für den Unterricht zu nutzen, sind an Verwaltungs- und technischen Problemen gescheitert.

In der Fachschule für Rechnungswesen wird ebenfalls ein vergleichbares rollierendes System eingesetzt. Jeden Donnerstag bleiben die Schülerinnen und Schüler zu Hause und erhalten über das Videokonferenzsystem des Messengers synchronen Online-Unterricht. Leider führt auch hier der Einsatz des Messengers zu häufigen „Abstürzen“.

Bei den Industriekaufleuten wird dagegen überwiegend asynchron vorgegangen: Seit 2 Jahren wird im Lernfeld 12 der Unterrichtsinhalt „Projektmanagement“ im „Blended Learning“ unterrichtet. Dafür erhalten die Auszubildenden zu Beginn der Blockphase Zugriff auf das im LMS gesicherte Lernmaterial, das sie sich im Sinne eines Flipped Classrooms bis zu einem vorher vereinbarten Termin selbstständig aneignen. Das Material besteht aus Erklärvideos, Informa­tionsmaterial und Übungsmaterial. In Präsenz, aber am Laptop, wird anschließend das erworbene Fachwissen in Form eines Online-Tests überprüft, der in den Beurteilungsbereich „Sonstige Leistungen“ eingeht. 

Fazit aus dem Schulversuch RBZB

Die Evaluationen im RBZB Düsseldorf haben verdeutlicht – und wie schon mehrfach vom vLw gefordert –, dass die Berufskollegs eine passgenaue Digitalisierungsstrategie für ihr innovatives Bildungsangebot benötigen. 

Um die Bedürfnisse beruflicher Bildung abdecken zu können, sind – wie in der Vergangenheit –  Sonderregelungen notwendig, denn

  • die Bedarfe von Berufskollegs unterscheiden sich von denen allgemeinbildender Schulen fundamental, weil sie darauf ausgerichtet sind, eine umfassende berufliche, gesellschaftliche und personale Handlungskompetenz zu ermöglichen. 
  • die Bedarfe von Berufskollegs sind unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um ein sozialpädagogisches, technisches oder kaufmännisches Berufskolleg handelt, da in allen Fächern eine Anknüpfung an die Handlungsfelder und Arbeits- und Geschäftsprozesse des jeweiligen Fachbereichs stattfindet.
  • der Prozess der fortschreitenden Digitalisierung als fester Bestandteil der Lebens-, Berufs- und Arbeitswelt beeinflusst direkt die Art zu kommunizieren, zu lernen, zu wirtschaften und zu arbeiten. 

Daher muss das Lernen im digitalen Wandel die über­greifende Querschnittsaufgabe sein, wie es auch in den Curricula für die Entwicklung der didaktischen Jahres­planungen vorgegeben ist. 

Neben der Förderung des gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins und des Denkens in Zusammenhängen umfasst Lernen im digitalen Wandel die Vermittlung von

  • Medienkompetenz,
  • Anwendungs-Know-how sowie
  • informatischen Grundkenntnissen.

Berufskollegs sind aufgrund ihrer Beruflichkeit besonders gefordert, diesen Prozess abzubilden, zu fördern und zu begleiten. So ist die Digitalisierung auch Teil des Handlungsfeldes 1 der Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung.

Notwendige pädagogische Erfordernisse

Daraus ergeben sich für die Berufskollegs zwingende pädagogische Erfordernisse. Diese sind vorrangig

  • ein tragfähiges BYOD-Konzept des Schulträgers,
  • die Bereitstellung berufsspezifischer Software-Programme,
  • ein professionelles Videokonferenzsystem und
  • ein professionelles Lernmanagementsystem.

Notwendige Infrastruktur-Erfordernisse

Daraus ergeben sich in der Folge zwingende Erfordernisse an die Infrastruktur:

  • ein leistungsfähiges WLAN, das BYOD möglich macht und für Lehrkräfte und Lernende sicher verfügbar ist,
  • ein Internetanschluss mit entsprechender GB-Ausstattung,
  • ein tragfähiges Konzept für elternfinanzierte Geräte.

Nur so kann eine gezielte Vorbereitung und Qualifizierung der Auszubildenden auf den Berufsalltag 4.0 chancen­gerecht erfolgen.

 

1 Siehe § 2 Abs. 2 Distanzunterrichts VO.
2 Siehe dazu auch Handlungsfeld 5 der Agenda zur Stärkung der ­beruflichen Bildung.

 

Rubrikbild: © Dagmar Ammann

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Beatrix Heithorst

Sabine von Zedlitz

für den Ausschuss Schul- und Bildungspolitik

 

 

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