75 JAHRE VLW

Ein Blick auf erfolgreiche Verbandsarbeit:
75 Jahre vLw – einige Meilensteine

75 Jahre vLw und kaufmännisches Schulwesen in Nordrhein-Westfalen sind untrennbar miteinander verbunden.

Die Vielfalt dieser 75 Jahre Verbandsgeschichte und deren lückenlose und umfassende Darstellung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Deswegen werden in diesem Beitrag einige Meilensteine dieser 75 Jahre beschrieben, die beispielhaft die Leistungen und Erfolge des vLw und seiner Akteurinnen und Akteure beschreiben. 

1953: Einrichtung der ersten Institute zur Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife

Während in anderen Bundesländern, wie z. B. Baden-Württemberg, schon 1947 Wirtschaftsoberschulen und Wirtschaftsgymnasien eingerichtet wurden, konnten in Nordrhein-Westfalen erst 1953 aufgrund der Forderungen des vLw zuerst in Oberhausen, dann in Düsseldorf, Essen, Köln, Münster, Bielefeld und Neuss berufstätige Kaufleute, die die Höhere Handelsschule erfolgreich abgeschlossen hatten und danach die Allgemeine Hochschulreife erwerben wollten, ihre Abiturprüfungen in NRW ablegen.

Leider mussten die Absolventinnen und Absolventen noch bis 1955 in ein anderes Bundesland gehen, bis sie dann 1956 erstmalig an ihrer Schule die Reifeprüfung ablegen konnten. 1

Obwohl andere Bundesländer diese Wirtschaftsoberschulen weiter ausbauten, stoppte das nordrhein-westfälische Kultusministerium diese Entwicklung und gliederte die Wirtschaftsgymnasien trotz erheblicher Proteste des vLw und der involvierten Schulen als sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Zweige den Gymnasien an.

Erst Mitte der sechziger Jahre änderte sich nach zahlreichen Interventionen des vLw die Einstellung der Bildungspolitiker und der damalige Kultusminister Prof. Dr. Paul Mikat verfügte am 27.01.1966, dass künftig Schülerinnen und Schüler der Höheren Handelsschule über einen neuen gymnasialen Zweig die allgemeine Hochschulreife im beruflichen Schulwesen erwerben konnten.

1960 Die Würfel sind gefallen – Einstieg in Höheren Dienst

Das 1954 verabschiedete Landesbesoldungsgesetz sah – wie bereits 1907 das Preußische Gewerbe- und Handelslehrer-Diensteinkommensgesetz (DBG) – weiterhin nur eine Einstufung in den gehobenen Dienst vor. Die jungen Kolleginnen und Kollegen absolvierten entsprechend keinen zweijährigen Vorbereitungsdienst und erhielten die ersten drei Jahre 80 % ihrer Eingangsbesoldung.Die Einstufung war für den vLw unverständlich, nachdem die Studienordnungen für Diplom-Handelslehrerinnen und -lehrer sowie Diplom-Kaufleute ein achtsemestriges Hochschulstudium vorschrieben. 

Der Landesverband drängte auf einen zweijährigen Vorbereitungsdienst, der das praktisch-pädagogische Jahr ersetzen sollte, das aus Sicht des vLw als zweite Phase der Lehrerausbildung unzureichend war.

Aufgrund der niedrigen Bezahlung im Schuldienst gingen in den fünfziger Jahren viele Diplom-Handelslehrerinnen und -lehrer in die Wirtschaft, so dass dies in den Schulen zu einem katastrophalen Lehrermangel führte. Beispielsweise waren 1954 von 1.600 Planstellen an den kaufmännischen Schulen fast 600 Stellen nicht besetzt.

Nach der Landtagswahl 1954 konnte der vLw nach mehreren Verhandlungen mit dem neuen Kultusminister Dr. Werner Schütz erreichen, dass ein Referentenentwurf für einen zweijährigen Vorbereitungsdienst erarbeitet wurde, dessen Umsetzung sich aber aufgrund des Widerstands des Finanzministers immer wieder verzögerte.

Erst am 29.07.1960 wurde durch Erlass der zweijährige Vorbereitungsdienst für die Lehrerinnen und Lehrer an den kaufmännischen Schulen eingeführt, nachdem am 17.05.1960 zuvor das neue Landesbesoldungsgesetz die Einstufung der Diplom-Handelslehrerinnen und -lehrer zum 01.04.1961 in den Höheren Dienst als Handelsstudienrat bzw. Handelsstudienrätin ermöglichte.2 So führten die mehrjährigen und zähen Bemühungen des vLw unter dem damaligen Vorsitzenden Dr. Erich Schmitz zu diesem Erfolg.

1962: Gründung der ersten staatlichen Höheren Wirtschaftsfachschulen in Ostwestfalen

Weil ab 1924 die Handelshochschulen nur noch Abiturientinnen und Abiturienten ein Studium ermöglichten, fehlte für interessierte Kaufleute eine geeignete Institution zur Weiterbildung.

Nach ersten Versuchen 1929 und 1947 wurden mit Hilfe des vLw, der Kammern und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft 1962 in Ostwestfalen die ersten drei staatlichen Höheren Wirtschaftsfachschulen gegründet.

Nach intensiven Diskussionen erfolgte nach dem Regierungswechsel im Dezember 1968 die Überleitung der Höheren Wirtschaftsfachschulen in Fachhochschulen. Weil nun Berufstätige ohne Fachhochschulreife kaum noch Fortbildungsperspektiven im staatlichen Bereich hatten, wurden in den siebziger Jahren die heutigen Fachschulen für Wirtschaft eingerichtet.

Auch hier unterstrich der ehemalige Landesvorsitzende Dr. Franz Lammert, dass „… nur geduldige und zähe Arbeit im Kontakt mit den Parlamentariern, den beteiligten Ministerien und weiteren Partnerinnen und Partnern die erforderlichen Schritte zur Weiterentwicklung der beruflichen Schulen gewährleisten.“3

1966: Handelsschule ab Klasse 10

Die Handelsschule war eigentlich seit Ende des 19. Jahrhunderts eine attraktive Schulform, die begabten Volksschülerinnen und Volksschülern Chancen zum Aufstieg in den kaufmännischen Bereich vermittelte.4

Nach der Änderung des Schulpflichtgesetzes und damit der Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht auf neun Jahre im Jahr 1966 begann die Handelsschule mit der Klasse 10. So geriet sie in einen bis 1979 währenden Streit, ob sie nach der weitergehenden Forderung nach 10 Schuljahren eine Alternative zum 10. Schuljahr an den Hauptschulen sein könnte.

Entgegen der Forderungen von GEW und VBE und zugunsten von vLw und vlbs beschloss die Landesregierung ab 1980 das 10. Pflichtschuljahr mit der Wahlmöglichkeit einzuführen, entweder in der Hauptschule zu bleiben oder in eine berufliche Vollzeitschule (hier Handelsschule) zu wechseln. Bei der damaligen Argumentation von vLw und vlbs wurden auch heute bekannte Aspekte aufgeführt, u. a. dass gegen die Schulmüdigkeit an den allgemeinbildenden Schulen durch ein beruflich orientiertes 10. Pflichtschuljahr eine neue Motivation und eine praxisorientiertere Berufsorientierung vermittelt werden könne.

1970:  Die leidigen A15 Stellen

Nachdem bereits der Verband unter den Vorsitzen von Dr. Franz Lammert und Hermann Schenkelberg für eine Gleichbehandlung auch beim Beförderungskegel gerungen hatte und 1969 auf je 40 Lehrerstellen des Höheren Dienstes eine A15 Stelle zugeteilt wurde, erreichte 1970 der vLw mit dem  frisch gewählten Landesvorsitzenden Winfried Schwarberg es mit, dass der Landtag Ende 1970 beschloss, den  Stellenkegel der Verwaltungsbeamtinnen und -beamte auch auf die Lehrerinnen  und Lehrer des Höheren Dienstes anzuwenden. 5

1977: Standardisiertes Lehrereinstellungsverfahren

Nachdem die Einstellung von Lehrkräften fast 30 Jahre kaum reglementiert war, erforderte die hohe Bewerberzahl, die auch durch die Sondermaßnahme 3 mit einer Anerkennung des Fachhochschulstudiums als Hauptfach verursacht wurde, ein landesweit vergleichbares Einstellungsverfahren. 

Die damaligen Referendarsprecher Jörg Kreuter und Klaus Kirschbaum führten mit dem zuständigen Referat des Kultusministeriums Gespräche über einen Katalog mit sozialen Kriterien, der leider nur einige Jahre von Bedeutung war.

Etabliert wurde dann ein landesweites Einstellungsverfahren mit Ortswünschen, Fächerkombinationen und Ranglisten, die sich aufgrund der Noten des ersten und zweiten Staatsexamens ergaben.6

1999:  Berufskolleg als Ergebnis der Berufsbildenden Schulen und Kollegschulen

Mit der Verabschiedung der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung in den Bildungsgängen des Berufskollegs (APO-BK) wurde am 26.05.1999 die Gliederung für das Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen geschaffen, das aus den berufsbildenden Schulen und den Kollegschulen hervorgegangen ist.

Diese Zusammenführung war durch den vLw mit seinem Landesvorsitzenden Dr. Hermann Hansis maßgeblich begleitet und forciert worden, um so den Schülerinnen und Schülern überzeugende und attraktive Bildungsangebote anzubieten.7 Die Bedeutung der Berufskollegs unterstrich die Schulministerin Gabriele Behler am 31.03.2000 auf dem Delegiertentag in Bielefeld mit den Worten, dass „… die Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen ein ungehobener Schatz“ seien.

2000:  Ergebnisse der Arbeitszeituntersuchung von Mummert & Partner und deren Folgen

Der Abschlussbericht zur Arbeitszeituntersuchung von Mummert & Partner bestätigte 2000, dass die durch-
schnittliche Arbeitszeit aller Lehrerinnen und Lehrer sowohl insgesamt als auch für jede einzelne Schulform deutlich über der des übrigen öffentlichen Dienstes liegt. Berufs­bildende Schulen und Kollegschulen, im Abschlussbericht als Berufskollegs zusammengefasst, befinden sich mit ihrem Übersoll im mittleren Bereich des Gesamtübersolls.

Der vLw kritisierte an dem Gutachten verschiedene Aspekte, wie z. B. an zwei Stellen willkürliche  Normierungen bei der Datenauswertung, und bewertet die Vorschläge eines Modells mit unterschiedlichen Pflichtstundenmaßen in Abhängigkeit von den zu unterrichtenden Fächern oder ein Jahresarbeitszeitmodell für die Berufskollegs  ohne zusätzliche Ressourcen kritisch.

Auch wenn der vLw den Grundsatz einer Arbeitszeituntersuchung begrüßte, kann heute rückblickend festgestellt werden, dass die Politik keine signifikanten Konsequenzen ergriffen hat und so die Arbeitszeitbelastung der Lehrkräfte heute weiterhin überdurchschnittlich ist.

2006: Kaufmännische Bildung neu (über)denken

Am 24.02.2006 legte der vLw unter Federführung des Landesvorsitzenden Dr. Hermann Hansis und des Bildungsausschussvorsitzenden Dr. Wolfgang Kehl seine Überlegungen zur Weiterentwicklung der kaufmännischen Bildung des Landes dar, die sich u. a. mit Kompetenzmanagement, Nachhaltigkeit des Lernens und Eigenverantwortlichkeit der Berufskollegs auseinandersetzen.

2011: Neue OVP mit 1,5 Jahren Referendariat und Praxissemester

Nach dem Inkrafttreten der Ordnung für den Vorbereitungsdienst (OVP 2011) zum 01.11.2011 war es zentrales Anliegen des vLw unter Federführung der Landesvorsitzenden Elke Vormfenne und des Lehrerbildungsausschusses, den realen Umsetzungsprozess der neuen Lehrerausbildung in Kommunikation mit allen Beteiligten zu evaluieren und kritisch-konstruktiv zu begleiten. 

In einem konstruktiven Beteiligungsprozess hat der vLw gegenüber dem Schulministerium zahlreiche Veränderungen angemahnt, von denen einige vollzogen wurden (z. B. Zurückziehen des Entlassentwurfs „Anrechnungsstunden Fachleiter/-in“) oder bislang noch nicht durchgesetzt werden konnten (z. B. Verpflichtung der LAA zu 9 Stunden selbstständigem Unterricht).

Im Rahmen der Workshop-Angebote der landesweiten vlw-Arbeitstagung am 28.03.2014 in Bochum informierten Mitglieder des Ausschusses über die innovativen Ausbildungsformate der neuen OVP und deren Gelingensbedingungen am Berufskolleg. Die Personenorientierung der neuen OVP wurde vom Ausschuss darüber hinaus in der Verbandszeitschrift zum Thema gemacht   

2014: Neue APO-BK

Getreu dem Motto „Was lange währt, wird endlich … ?“ wurde am 03.12.2014 die APO-BK in einer Sondersitzung im Schulausschuss des Landtages einstimmig verabschiedet. Leider kam als Ergebnis eine kleine Lösung heraus, bei der der vLw zwar in einigen Punkten noch etwas retten konnte, aber u. a. beim ersatzlosen Wegfall der einjährigen Berufsfachschule für Schülerinnen und Schüler mit der Fachoberschulreife oder der einjährigen Höheren Handelsschule für Abiturienten nicht berücksichtigt wurde. Die letzten Jahre und die gesellschaftliche Realität haben die Befürchtungen des vLw und einen nach wie vor dringenden Reformbedarf bestätigt  

2018: Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung 

Mit der Vorstellung der Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung hat die Landesregierung 2018 ein weiteres Ziel ihres Koalitionsvertrags umgesetzt.

Der vLw begrüßte nachdrücklich die „Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung“ als wichtigen Schritt, die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele umzusetzen und systematisch in fünf Handlungsfeldern und 56 Maßnahmen zu erfassen.

Gemeinsam mit dem vlbs und weiteren Bildungspartnern brachte der vLw seine Positionen in den Agendaprozess ein, um so – ohne eine Veränderung der regionalen Schulstruktur – bis 2025 spürbare Verbesserungen für die berufliche Bildung in Nordrhein-Westfalen zu erreichen.

2020: Corona-Pandemie und Digitalisierung

Seit 2020 prägt die Corona-Pandemie den Schul- und Lebensalltag. Zu den Herausforderungen der Pandemie kamen u. a. die Digitalisierungsoffensive des Landes und die Beschulung von ukrainischen Schülerinnen und Schülern gerade im zweiten Halbjahr 2021/22 hinzu.

Dies ist eine besondere Leistung – neben dem „normalen“ Tagesgeschäft im Berufskolleg mit der erneuten, zeitpunktgenauen Sicherung von über 220.000 Abschlüssen – und verdient höchstes Lob und Anerkennung an alle Lehrerinnen und Lehrer.

Dank der intensiven Gespräche des vLw mit den politisch Verantwortlichen und dem Schulministerium konnten einerseits viele Gestaltungsfreiräume für die Berufskollegs vor Ort geschaffen und zusätzliche Ressourcen (Verbesserung der Schüler-Lehrer-Relation für berufliche Gymnasien und weitere Planstellen für Schulverwaltungsassistenz) nachhaltig bereitgestellt werden.

1 Vgl. Die kaufmännische Schule 5/ 1997, S. 112 und Mitteilungen des Landesverbands NRW im Verband Deutscher Diplom-Handelslehrer, Nr. 6 , 956, S. 22

2 Vgl. Die kaufmännische Schule 5/ 1997, S. 114 und Mitteilungen des Landesverbandes NRW im Verband Deutscher Diplom-Handelslehrer, Nr. 2, 1960 S. 9.

3 Die kaufmännische Schule 5/ 1997, S. 115

4 Vgl. a. a. O., S. 123 ff

5 Vgl. a. a. O., S. 125 f

6 Vgl. a. a. O., S. 132 ff

7 Vgl. u. a. Perspektiven für kaufmännische Schulen, Leitantrag zum Delegiertentag 1996 in Recklinghausen

 

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Hilmar von Zedlitz-Neukirch

Landesvorsitzender

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