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Wissenschafts- und Bildungspolitik in Bund und Ländern

ausgewählt und bearbeitet von Dr. Jan Broch, Schriftleitung

(1.) Ein Drittel weniger Wiederholer im Corona-Schuljahr 2020/21

Während der Corona-Pandemie haben deutlich weniger Kinder eine Klassenstufe wiederholt. Laut Statistischem Bundesamt lag das unter anderem an veränderten Versetzungsregelungen. Wie das Amt berichtete, wiederholten im Schuljahr 2020/21 an allgemeinbildenden Schulen 93 100 Schülerinnen und Schüler eine Klasse – entweder freiwillig oder weil sie nicht versetzt wurden. Das waren 50 500 weniger als im Schuljahr davor. Damit sank die Quote der Wiederholer bundesweit von 2,3 Prozent im Schuljahr 2019/20 auf zuletzt 1,4 Prozent. „Aufgrund von Unterrichtsausfällen, Wechsel- und Distanzunterricht wurden in vielen Bundesländern besondere Regeln in Hinblick auf die Versetzung eingeführt. So wurde die Versetzung vielfach nicht mehr an die schulischen Leistungen geknüpft“, ordneten die Statistiker ein.

Die Quote ging in allen Bundesländern zurück. Am höchsten war sie, wie in den Vorjahren, in Bayern – 26 500 Schülerinnen und Schüler beziehungsweise 2,8 Prozent besuchten dort im Schuljahr 2020/2021 erneut ihre Klassenstufe. Am niedrigsten war die Quote in Berlin, hier wiederholten nur 2500 Schülerinnen und Schüler die Klassenstufe, weniger als ein Prozent. Die Versetzung wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. 58 Prozent der Wiederholer waren männlich.

Die durchschnittliche Klassengröße lag – über alle Schulformen hinweg – im Schuljahr 2020/2021 bundesweit bei 24 Schülerinnen und Schülern. Am höchsten war sie mit 26 Schülern in Berlin, am niedrigsten mit 21 in Sachsen-Anhalt.

(Quelle: dpa-Dossier Bildung, 21. Januar 2022)

(2.) Schulministerium NRW: Rund 900 Testverweigerer nicht im Präsenzunterricht

In der ersten Woche nach den Weihnachtsferien haben in Nordrhein-Westfalen nach Zahlen des Schulministeriums 865 Schülerinnen und Schüler die Teilnahme an Corona-Tests verweigert. Wer weder dabei mitmache noch über sonstige zulässige Verfahren ein negatives Testergebnis nachweisen könne, sei vom Schulbesuch ausgeschlossen, erklärte das Ministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf.  In der Woche vor den Weihnachtsferien habe die Zahl derer, die die regelmäßigen Lolli- oder Antigen-Selbsttests in der Schule verweigert hätten, bei 835 gelegen. 

Das Ministerium wies auf mögliche negative Folgen für die Schullaufbahn hin, wenn Verweigerung der Tests oder der Maskenpflicht im Unterricht zu einer längerfristigen Abwesenheit führe und die Leistungen solcher Schüler deswegen nicht bewertet werden könnten. „Im Fall der Verweigerung der Teilnahme an Tests oder des Tragens einer Maske besteht in aller Regel kein Anspruch auf einen individuellen Distanzunterricht.“ Bei hartnäckiger Verweigerung infektionsschutzrechtlicher Vorgaben könne die Schulpflicht auch durchgesetzt werden. Dies habe das Oberverwaltungsgericht jüngst mit einem Beschluss bestätigt. 

Ob Abwesenheiten von Test- oder Maskenverweigerern als unentschuldigte Fehlzeit oder als Schulpflichtverletzung zu werten seien, sei von den Schulen und Aufsichtsbehörden anhand der Umstände des Einzelfalls zu bewerten, teilte das Schulministerium mit. Von der breiten Mehrheit der landesweit rund 2,5 Millionen Schüler in NRW würden die Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen aber akzeptiert.

(Quelle: dpa-Dossier Bildung, 21. Januar 2022)

(3.) So (un)gerecht sind Schulnoten

Noten sorgten ursprünglich für mehr Gerechtigkeit, denn sie koppelten die Chance auf Bildung von der Herkunft ab – Aufstieg durch Leistung. Aber sind Zensuren auch heute noch gerecht, objektiv und sinnvoll?

„Ich könnte Ihnen zehn Gründe nennen, warum Noten ungerecht sind“, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Doch der ehemalige Schulleiter zieht daraus nicht den Schluss, diese abzuschaffen. Im Gegenteil: Er ist davon überzeugt, dass sie ein sinnvolles Instrument der Rückmeldung und des Vergleichs sind – wenn man angemessen mit ihnen umgeht. Dazu gehöre etwa, dass man den Schülerinnen und Schülern eine individuelle Rückmeldung zu jeder Note gebe und sie angemessen dabei unterstütze, ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln.

Noten müssen weg – aus verschiedenen Gründen, sagt dagegen der Schweizer Deutschlehrer, Dozent und Autor Philippe Wampfler. „Wie sie zustande kommen, das ist nicht objektiv. Es sind scheingenaue Werte, die durch eine Reihe von Faktoren verzerrt werden.“ Das sei seit 50 Jahren gut empirisch belegt. Wie sehr unterstützen einen die Eltern? Wie ist die Lernsituation zu Hause? Wie kommt man mit der Lehrerin klar? Wie stark sind die Leistungen der anderen in der Klasse? Und auch: In welchem Bundesland geht man auf welche Schule?

Wampfler erklärt, dass regelmäßig drei Arten der Leistungsbeurteilung vermischt würden: Die Stärksten der Gruppe bekommen die besten Zensuren. Oder es wird bewertet, dass ein bestimmtes Qualitätsniveau erreicht wurde. Aber auch der individuelle Fortschritt kann ein Kriterium sein. Zudem würden für das heutige Berufsleben entscheidende Kompetenzen wie Kommunikation oder Teamfähigkeit kaum oder gar nicht benotet. Aus den so entstandenen Zensuren werde eine nicht sinnvolle Vergleichbarkeit konstruiert. Die „verheerend für Schülerinnen und Schüler sein kann, weil viele nicht sehen, dass nur bewertet wird, eine bestimmte Aufgabe auf eine bestimmte Art und Weise zu lösen. Sondern sie nehmen Noten als Bewertung ihrer Person wahr“, sagt Wampfler. Die Fixierung auf Zensuren erschwere sinnstiftendes Lernen.

Das sieht auch der Präsident des Lehrerverbandes ähnlich: „Eine Lehrkraft hat ihren Beruf verfehlt, wenn sie in der Vergabe von Noten ihre wichtigste Aufgabe sieht.“ Meidinger appelliert aber auch besonders an die Eltern, Noten eine geringere Bedeutung beizumessen. Grundsätzlich sieht er jedoch keine Alternative zu ihnen. Eine Lösung, die nicht ebenfalls Ungerechtigkeiten enthalte, gebe es nicht, meint er. 

Das sieht Wampfler anders. Er plädiert für Portfolios, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeit und ihr Lernen dokumentieren und über die sie regelmäßig mit der Lehrkraft reden. In diesem System sollten Tests eine Rolle spielen, bei denen Kompetenzen nachgewiesen werden. „Wenn du es nicht kannst, dann kannst du noch mal üben. Und wenn du dann bereit bist, zeigst du, dass du es kannst. Anschließend kannst du es für dich abhaken – und gehst weiter“, erklärt der Pädagoge. Ein zentrales Problem des bestehenden Systems sei, dass man die Lernenden vom Urteil anderer abhängig mache. „Ich müsste ja eigentlich, wenn ich eine Leistung erbracht habe, auch selber darüber nachdenken. Wie gut war das jetzt? Womit bin ich zufrieden? Was würde ich gerne anders machen?“, sagt Wampfler. „Wenn man solche Gespräche institutionalisiert und sagt: ,Wir sprechen übers Lernen‘, dann wäre das ein guter Weg.“ 

Dass es bis dahin auch ein weiter Weg wäre, dessen ist sich Wampfler bewusst. Er weiß um die Vorbehalte und Ängste gegenüber einem System ohne Noten. Und um die fehlenden Ressourcen. „Es ist heute schon zu wenig Zeit, um alles seriös zu machen. Jetzt nehmt nicht auch noch die Noten weg, die sind sehr effizient und komprimiert“, höre er, so der Pädagoge. Zahlreiche Lehrkräfte hätten viel Energie investiert, um zu lernen, wie man Noten mache, ohne sich Probleme etwa mit Eltern einzuhandeln. Damit Schule ohne Noten funktioniere, müsse die Ausbildung von neuen Lehrkräften anders gestaltet werden. Und es brauche viel Weiterbildung für die etablierten. Auch die Eltern müssten umdenken und sich von der vordergründigen Sicherheit der Ziffern verabschieden, die ihr Kind bekommt. 

Wampflers Resümee: Keine Wunder erwarten. „Man muss beginnen, in der Schulpraxis Noten weniger Bedeutung zu geben. Ich versuche beispielsweise, nie ein Gespräch zu führen, in dem ich auf Noten eingehe – außer ich werde gefragt. Sonst verweise ich nie darauf, sondern ich versuche, übers Lernen zu sprechen.“

(Quelle: dpa-Dossier Bildung, 21. Januar 2022)

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