Gesundheit und Gesundheitsförderung bei Lehrerinnen und Lehrern

Einleitung

An Lehrerinnen und Lehrer wurden im Rahmen der zu bewältigenden Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie hohe Erwartungen gestellt. Die Arbeitssituation unter den besonderen Hygienebedingungen führte bei Lehrkräften im letzten Jahr zu einer deutlichen Mehrbelastung und Mehrarbeit. Neue Aufgaben ergaben sich u. a. durch die Gestaltung von Unterricht in digitalen Formaten und die verbundene Einarbeitung in entsprechende Programme sowie Lernplattformen. Dabei wurde die Situation an vielen Schulen durch eine mangelnde Digitalisierung und fehlende Endgeräte erschwert. Für die Sicherstellung der Präsenzunterrichte mussten die Kollegien umfangreiche Hygienekonzepte erarbeiten und zuverlässig in ihren Unterricht integrieren. Zudem führten häufig wechselnde Bestimmungen der zuständigen Behörden zu erschwerter Planbarkeit und zu Unsicherheit im Schulalltag. Diese Aspekte, verbunden mit der Sorge um die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler und die eigene Gesundheit, führten im letzten Jahr bei knapp der Hälfte der Lehrkräfte zu einer mittleren oder ausgeprägten emotionalen Erschöpfung (Hansen et al. 2022; Forsa 2020).

Doch auch schon vor der Coronapandemie wurde die gesundheitliche Situation im Lehrerberuf immer wieder problematisiert. Gesundheitlich zeigen Lehrpersonen insbesondere psychische Erschöpfungsreaktionen (Wesselborg & Bauknecht 2022). Dabei kann die Einordnung der potenziellen Gesundheitsgefährdungen von Lehrerinnen und Lehrern als Konsequenz typischer berufsspezifischer Anforderungen sinnvolle Ansätze zur Gesundheitsförderung bieten.

Berufsspezifische Anforderungen: Der Lehrerberuf als sozialer Interaktionsberuf

Der Lehrerberuf zählt aus arbeitswissenschaftlicher Sicht zu den sozialen Interaktionsberufen. Zur Anbahnung erfolgreicher Bildungsprozesse ist die Kooperation der beteiligten Akteure notwendig. Die Gestaltung der Unterrichtstätigkeit mit dem Ziel der Kooperation der Lernenden kann als Interaktionsarbeit charakterisiert werden (Böhle & Weihrich 2020). Interaktionsarbeit stellt besondere psychosoziale Anforderungen an die Lehrpersonen. Zum einen erfordert sie Gefühlsarbeit auf zwei Ebenen. So versuchen z. B. Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler zur Mitarbeit zu motivieren, indem sie Interesse weckende Elemente im Unterricht präsentieren, die die Bereitschaft der Lernenden wecken sollen, sich mit den Unterrichtsgegenständen aktiv auseinanderzusetzen. Zugleich müssen die Lehrenden jedoch ihre eigenen Gefühle regulieren, wie z. B. Ärger und Verunsicherung, wenn Lernende störendes Verhalten zeigen. Das Handeln in der Unterrichtsituation kann nicht vollständig vorausgeplant werden. Es müssen immer wieder nicht planbare spontane Aktionen und Reaktionen der Lernenden als Koproduzenten des Bildungsangebotes integriert und bewältigt werden.

Tatsächlich stellen aus Lehrersicht die mangelnde Kooperation und der Umgang mit undisziplinierten, unmotivierten und uninteressierten Schülerinnen und Schülern den stärksten gesundheitsrelevanten Stressor dar. Andererseits sind positive Rückmeldungen und gelungene Interaktionen mit Schülern und Eltern die wichtigste gesundheitliche Ressource (Unterbrink et al. 2008).

In den Blick genommen werden muss zudem, dass Lehrende auch Interaktions- und Aushandlungsprozesse im Kollegium und mit Vorgesetzten bewältigen müssen. Dabei wird die soziale Unterstützung am Arbeitsplatz durch das Kollegium von Lehrern als deutlich höher eingeschätzt als von Beschäftigten anderer Berufe und stellt einen wichtigen gesundheitsrelevanten Faktor dar (Wesselborg & Bauknecht 2022).

Berufsspezifische Anforderungen: Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit

Ein weiteres berufsspezifisches Merkmal betrifft die Regelung der Arbeitszeit. Die Arbeitszeit von Lehrkräften wird in Deutschland zumeist mit Pflichtstundenvorgaben für Unterricht, dem sogenannten Lehrdeputat, festgelegt. Weitere berufliche Aufgaben wie die Unterrichtsvor- und -nachbereitung, Konferenzen, die Zusammenarbeit mit Eltern oder Gespräche mit einzelnen Lernenden werden zeitlich nicht konkretisiert. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass weniger als die Hälfte der Arbeitszeit durch das Deputat geregelt ist (Hardwig & Mußmann 2018, S. 13).

Zudem gibt es in der Regel keinen Schreibtischarbeitsplatz in der Schule, sodass neben der Unterrichtstätigkeit auch zu Hause gearbeitet werden muss und der häusliche Arbeitsplatz die Trennung von Arbeits- und Privatleben erschwert.

Gesundheitsfördernde Maßnahmen

Ausgehend von den Ergebnissen zur Gesundheitssituation im Lehrerberuf wurden in den vergangenen Jahren vielfältige Maßnahmen und Projekte ins Leben gerufen, welche die Gesundheit von Lehrkräften fördern sollen.

Vor dem Hintergrund der berufsspezifischen Anforderungen werden im Folgenden zwei Ansätze zur Förderung der Lehrergesundheit näher geschildert. Zur Rahmung der Gestaltung der Interaktionsarbeit wird das Programm ‚PAUER‘ von Kiel, Frey und Weiß (2013) zur Förderung der Klassenführungskompetenz vorgestellt. Mit dem Akronym „PAUER“ werden fünf grundlegende Dimensionen des Trainings zusammengefasst: Präsenz, Aktivierung, Unterrichtsfluss, Empathie und Regeln. Kiel und Kollegen verstehen Klassenführungshandeln als das Gestalten sozialer Interaktion im Unterricht unter Beachtung spezifischer Werte. Sie stellen in ihrem Klassenführungstraining neben Störungsvermeidung und dem Ermöglichen einer Bildungsatmosphäre auch die Ressourcenschonung von Lehrpersonen in den Mittelpunkt.

Das Programm Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf (AGIL) wurde speziell zur Stressbewältigung von Lehrenden entwickelt (vgl. Hillert et al. 2019). Das Präventionsprogramm kann präventiv oder als Interventionsmaßnahme bei auftretender Stresssymptomatik absolviert werden. Am Anfang des Trainings gibt es eine Einführung in verschiedene Ebenen der schulischen Belastung und der Bedeutung von Stressoren. Dabei wird die Fähigkeit, veränderbare und nicht beeinflussbare Stressoren zu unterscheiden, gefördert, um die Beeinflussbarkeit von Stressoren und den notwendigen Kraftaufwand mit Aussicht auf Entlastung zu reflektieren. Weiterhin werden Anzeichen von Überlastung thematisiert und es wird auf eine höhere Sensibilisierung („Achtsamkeit“) gegenüber psychischen und körperlichen Stresssignalen hingewirkt.

Fazit

Die Anforderungen im Lehrerberuf sind bedingt durch die großen Anteile an Interaktionsarbeit und mangelhaft ausgewiesene Zeitvorgaben für Aufgaben außerhalb des Unterrichts sehr hoch. Entsprechend den Ergebnissen zu den berufsspezifischen Anforderungen und der Lehrergesundheit sollten in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen vor allem Kompetenzen gefördert werden, die diese Anforderungen adressieren, um die eigene Gesundheit zu stärken und den Bildungsauftrag zu sichern.

 

Literatur

Böhle, F., Weihrich, M. (2020): Das Konzept der Interaktionsarbeit. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 74(1), 9–22.

Hansen, J., Klusmann, U., Hanewinkel, R.: Emotionale Erschöpfung und Berufszufriedenheit von Lehrpersonal während der COVID-19-Pandemie. Bundesgesundheitsblatt 65, 776–783 (2022). https://doi.org/10.1007/s00103-022-03554-7

Hardwig, T., Mußmann, F. (2018): Zeiterfassungsstudien zur Arbeitszeit von Lehrkräften in Deutschland. Verfügbar unter: http://webdoc.sub.gwdg.de/pub/mon/2018/1-mussmann.pdf.

Hillert, A., Bracht, M., Koch, S., Lüdtke, K., Ueing, S., Lehr, D. et al. (2019): Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf (AGIL). Das individuelle Arbeitsbuch. Stuttgart: Schattauer.

Forsa Politik- und Sozialforschung GmbH (2020): Deutsches Schulbarometer Spezial. Corona-Krise Folgebefragung. Verfügbar unter: https://deutsches-schulportal.de/unterricht/lehrer-umfrage-deutsches-schulbarometer-spezial-corona-krise-folgebefragung/.

Kiel, E., Frey, A., Weiß, S. (2013): Trainingsbuch Klassenführung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Unterbrink, T., Zimmermann, L., Pfeifer, R., Wirsching, M., Brähler, E., Bauer, J. (2008): Parameters influencing health variables in a sample of 949 German teachers. International Archives of Occupational and Environmental Health, 82(1), 117–123.

Wesselborg, B., Bauknecht, J.: Belastungs- und Resilienzfaktoren vor dem Hintergrund von psychischer Erschöpfung und Ansätzen der Gesundheits-förderung im Lehrerberuf. Prävention Gesundheitsförderung (2022). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00955-z

 

Zur Autorin

Prof. Dr. Bärbel WESSELBORG ist Professorin für Pflegepädagogik bzw. Berufspädagogik der Gesundheitsberufe an der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf. Nach einer Ausbildung und Tätigkeit in der Pflege studierte Frau Wesselborg Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft. Nach einer mehrjährigen Beschäftigung als Lehrerin an einer beruflichen Schule hat sie in Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen über Lehrergesundheit promoviert. Seit 2013 ist sie in der Lehrerbildung für die Schulen des Gesundheitswesens tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Gesundheit und der Gesundheitsförderung im Lehrerberuf, der Aufgabenqualität im pflegeberuflichen Unterricht und der interprofessionellen Ausbildung in den Gesundheitsberufen.

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