Fortbildung 2.0 – personalisierte Entwicklung digitaler Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern mit dem Kompetenzmodell digi.kompP

Kennen Sie das? Sie sind im Lehrerzimmer und gehen Ihrer Arbeit nach. Zwei junge Kollegen unterhalten sich über Apps, die sie in ihrem Unterricht einsetzen. Sie verstehen nur Bahnhof und fragen sich: „Muss ich diese App kennen? Was muss ich wissen und beherrschen? Brauche ich da jetzt eine Fortbildung?“

Schule befindet sich in der digitalen Transformation, die eine veränderte Lernkultur mit sich bringt, ein Änderungsprozess, der nicht nur den Schülerinnen und Schülern digitale Kompetenzen abverlangt, sondern auch für die Lehrerinnen und Lehrer Herausforderungen bereithält. Insbesondere im Rahmen des personalisierten Lernens mit digitalen Medien, welches an der Eigenständigkeit und Hervorhebung individueller Kompetenzen orientiert ist1, steht den Lernenden – ganz im Sinne einer konstruktivistischen Didaktik, die das Lernen als individuellen Prozess der Selbstorganisation des Wissens versteht – die Wahl der digitalen Applikation frei, die sie für ihren eigenen Lernprozess wählen2.

Dies bedeutet nicht nur, dass die Schülerinnen und Schüler über die digitale Schlüsselkompetenz des Anwendungs-Know-hows verfügen müssen, d. h. den selbstständigen und sicheren Umgang des digitalen Mediums beherrschen, sondern auch über die der Medienkompetenz, die sie dazu befähigt, digitale Medien und ihre Anwendung in bestimmten Settings in Hinblick auf Lernergebnis und -prozess kritisch zu beurteilen, die Chancen und Risiken ihrer Nutzung zu erkennen und damit das eigene Mediennutzungsverhalten kritisch zu reflektieren3. In der konstruktivistischen Sichtweise findet der personalisierte Lernprozess auf der Grundlage der Realitäts- und Sinnkonstruktion eines jeden Einzelnen statt und ist damit ein relativer und nicht vorhersagbarer Vorgang. Der fest definierte individuelle Anspruch, der sich für die Lernenden aus dieser konstruktivistischen Doktrin ergibt, trifft nun auf eine im digitalen Wandel begriffene, von Veränderungsprozessen und damit von einer Infragestellung des Alten und Unsicherheit in der Anwendung des Neuen gekennzeichneten Welt, in der aus Sicht der Lehrenden vieles im Fluss und nicht von Dauer ist. 

Eine wachsende Anzahl von Apps steht zur Auswahl bereit, Applikationen, die alle in bestimmten unterrichtlichen Kontexten sinnvoll erscheinen.  Zudem ist noch ein Lern­managementsystem im Einsatz, neue digitale Medien – ob nun interaktive Whiteboards, 3D-Drucker oder Virtual- Reality-Brillen – halten Einzug in die Schulen, eine Vielfalt des medialen Angebots, das, verstärkt durch die Unsicherheit angesichts des häufig vorliegenden Mangels an Unterrichtskonzepten, durchaus unübersichtlich und überfordernd wirken kann. 

In dieser Lage bieten sich den an der Weiterentwicklung ihres Unterrichts Interessierten verschiedene Möglichkeiten der Fortbildung zu den unterschiedlichsten digitalen Applikationen, die von dem einen oder anderen in der Sorge, nicht mitzukommen, besucht werden. Die individuelle Nachfrage nach Fortbildungsangeboten erscheint dabei u. U. größtenteils unstrukturiert und willkürlich. Man nimmt mit, was man an Fortbildungen zu digitalen Medien mitnehmen kann, probiert aus, lässt sich von einer Kollegin oder einem Kollegen etwas erklären, in der Hoffnung, eine zumindest den Grundstock legende digitale Kompetenz aufzubauen. 

Auch wenn der kollegiale Austausch und der Wille, sich weiterzuentwickeln, von zentraler Bedeutung für den Aufbau der eigenen digitalen Kompetenz sind, zeigt sich deutlich: Die Entwicklung der Fähigkeit, die technische Infrastruktur zu beherrschen, stellt lediglich einen Anfang der eigenen Professionalisierung dar. Sie reicht nicht aus, genauso wenig, wie es die ausschließliche Vermittlung der digitalen Schlüsselkompetenz des Anwendungs-Know-hows auf Ebene der Schülerinnen und Schüler täte. Die reine Anwendung digitaler Technik und der Einsatz von Apps sind kein Garant für guten Unterricht. Entscheidend sind hingegen der planvolle Einsatz digitaler Medien und ihre – den pädagogischen Mehrwert im Blick – reflektierte Anwendung im stimmigen Zusammenspiel von zu ver­mittelndem Unterrichtsinhalt, einzusetzender Unterrichtsmethode und anzustrebender Kompetenzerweiterung.

Aber: Kann dieser pädagogische Mehrwert digitaler Medien, den zu beurteilen die Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen der eigenen Medienkompetenz imstande sein sollten, überhaupt von den Lehrenden selbst erkannt werden, wenn sie das technische Potenzial des Mediums – unter Umständen noch eingebunden in leistungsfähige Lernmanagement­systeme – noch nicht vollständig sehen, wenn so viel Neues zeitgleich und ungefiltert aus verschiedenen Kanälen auf die Lernenden – hier die Kolleginnen und Kollegen – einströmt? Der Bedarf nach einem strukturierten, systematisch aufgebauten und fest als Fortbildungseinheit im Schulalltag verankerten Fortbildungskonzept wird deutlich, welches den Lehrerinnen und Lehrern selbst die Gelegenheit gibt, die Kompetenzen für personalisiertes, selbstorganisiertes Lernen mit digitalen Medien nachhaltig, standardisiert und dauerhaft auf- bzw. auszubauen. Zudem ist ein Beschreibungsmodell notwendig, das die Kolleginnen und Kollegen dazu befähigt, ihren Entwicklungsstand selbst einzuschätzen und die eigene Professionali­sierung zielgerichtet voranzutreiben. 

In Österreich wurde 2016 das Kompetenzmodell digi.kompP für Pädagoginnen und Pädagogen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung entwickelt und im Jahr 2019 in überarbeiteter Fassung veröffentlicht4. Es stellt die digitalen Kompetenzen der Lehrenden in acht, mit den Buchstaben A bis H bezeichneten Kategorien dar: „Digitale Kompetenzen und informatische Bildung“, „Digital leben“, „Digital Materialien gestalten“, „Digital lernen und lehren ermöglichen“, „Digital lehren und lernen im Fach“, „Digital bilden“, „Digital verwalten und Schulgemeinschaft gestalten“ und „Digital weiterbilden“. Das Modell digi.kompP stellt überdies detaillierte Kompetenzbeschreibungen bereit, die integraler Bestandteil jeder Kategorie sind und den vier Progression anzeigenden Kompetenzstufen „Einsteigen, Entdecken, Einsetzen und Entwickeln“ zugeordnet sind. Die kreisförmige Darstellung des Modells zeigt dabei das Fortlaufen des Fortbildungsprozesses an. Neben der prozessualen Sichtweise ist es aber auch möglich, den aktuellen Entwicklungsstand abzubilden, was nicht ausschließt, dass dieser in den einzelnen Kategorien ein unterschiedlicher ist.

Die Stärke von Modellen wie digi.kompP liegt zum einen in der Möglichkeit, den Prozess der Kompetenzentwicklung des Einzelnen darstellbar machen zu können, zum anderen aber auch genügend Deskriptoren auf unterschiedlichen Kompetenzniveaustufen bereitzustellen, mit denen der individuelle Stand des Fortbildungsprozesses zeitpunktbezogen erfasst werden kann. 

Das Modell wäre somit im Rahmen der Analyse der Kompetenzentwicklung eines ganzen Kollegiums in der Lage, die häufig stark ausgeprägte Heterogenität dieser differenziert abzubilden und damit eine Grundlage für eine bedarfsgerechte personalisierte schulische Fortbildungsplanung zu schaffen. Es kann den Kolleginnen und Kollegen Wege aufzeigen, den eigenen Fortbildungsstand zu reflektieren und mithilfe eines digitalen Portfolios zu dokumentieren und weiterzuentwickeln. Schulexterne und -interne Fort­bildungsangebote können auf diese Weise zielgerichtet bereitgestellt, Fortbildungsprozesse und -fortschritte auf Ebene des Einzelnen, der Schule oder auch schulübergreifend transparent gemacht und dargestellt werden. 

Fortbildung findet auf der Basis von Standards statt und wird zum elementaren Einflussfaktor schulischen Qualitätsmanagements und Change-Managements im Rahmen der digitalen Transformation. In der Folge wird die Gefahr von für die weitere Unterrichts- und Schulentwicklung impuls­armen, „im Gießkannenprinzip verabreichten“ Fortbildungsmaßnahmen, die am individuellen Bedarf der Kolleginnen und Kollegen vorbeigehen oder diesen sogar vollständig ignorieren und letztlich einen wenig nachhaltigen Effekt für die digitale Kompetenzentwicklung des gesamten Kolle­giums haben, maßgeblich verringert. 

Das Postulat des selbstorganisierten und personalisierten Lernens sollte somit nicht nur für die Unterrichtsentwicklung gelten und damit den Weg zu einer veränderten Lernkultur ebnen, sondern auch als Maxime für eine persona­lisierte Kompetenzentwicklung im Rahmen einer veränderten Fortbildungskultur gesehen werden, die sich – in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand der technischen Infrastruktur sowie der pädagogisch-didaktischen Konzepte – ebenfalls anhaltend in einem Veränderungsprozess befindet. Der am schulischen Medienkonzept deutlich werdenden Interdependenz der Faktoren schulische Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Unterrichtsentwicklung5 und deren wirksamem, sich gegenseitig verstärkendem Zusammenspiel kommt somit eine entscheidende Rolle für das digital gestützte Lernen zu. 

Eine veränderte Fortbildungskultur und -organisation von Lehrerinnen und Lehrern stellt in diesem Zusammenwirken den Antrieb für die Entwicklung einer neuen Lernkultur dar. Sie kann auch das personalisierte Lernen mit digitalen Medien fördern, jedoch bedarf es deutlicher Impulse, die Prozesse der Schul-, der Unterrichts- und Kompetenzentwicklung bei Lernenden und auch Lehrenden zu forcieren. Die digitale Kompetenzentwicklung der Lehrerinnen und Lehrer sollte daher in Zukunft vonseiten der politischen wie auch schulischen Entscheidungsträger verstärkt gefördert werden6, um die digitale Transformation von Unterricht voranzubringen. Modelle wie digi.kompP können in diesem Zuge Strukturgeber der Personalentwicklung sein. Da die Digitalisierung eine Querschnittsfunktion innerhalb der Schulentwicklung darstellt, können der Aufbau und die Entwicklung digitaler Kompetenzen im Rahmen eines bedarfsorientierten und personalisierten Fortbildungskonzeptes nicht nur zu einem zentralen Impulsgeber für Unterrichtsentwicklungsprozesse werden, sondern vielmehr den Schulentwicklungsprozess in Gänze vorantreiben.

Eine Darstellung des Modells und eine Beschreibung seiner Deskriptoren finden Sie hier: https://bit.ly/3XJZCY9

Quellen:

Brandhofer, G. (et al.) (2020): „Die Weiterentwicklung des Kompetenzrasters digi.kompP für Pädagog*innen“, in: Trültzsch-Wijnen, C. / Brandhofer, G. (Hgg.): Bildung und Digitalisierung. Auf der Suche nach Kompetenzen und Performanzen. Baden-Baden: Nomos, S. 51–71.

Herold, C. (et al.) (32011): Selbstorganisiertes Lernen in Schule und Beruf. Gestaltung wirksamer und nachhaltiger Lern­umgebungen. Weinheim / Basel: Beltz.

Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2021): Handreichung zur Integration digitaler Schlüsselkompetenzen in die Berufliche Bildung. Düsseldorf.

Rolff, H.-G. (2021): „Schulentwicklung in Zeiten der Digitalisierung“, in: Brägger, G. / Rolff, H.-G. (Hgg.) (22022): Handbuch Lernen mit digitalen Medien. Weinheim/ Basel: Beltz, S. 165–188.

Stebler, C. (u. a.) (2022): „Personalisiertes Lernen als schulisches Bildungskonzept. Erscheinungsformen, Qualitätsmerkmale und Forschungsbefunde“, in: Brägger, G. / Rolff, H.-G. (Hgg.) (22022): Handbuch Lernen mit digitalen Medien. Weinheim / Basel: Beltz, S. 402–430.

Rubrikbild: © Dagmar Ammann

1 Christine Stebler et al. beschreiben die fünf Dimensionen des personalisierten Lernens. Vgl. Stebler, C. (et al.) (2022), S. 410 f.
2 Vgl. Herold (3-2011), S. 94.
3 Zu den digitalen Schlüsselkompetenzen Anwendungs-Know-how und Medienkompetenz vgl. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2021), S. 9.
4 Zur Genese und Weiterentwicklung des Modells vgl. Brandhofer, G. (et al.) (2020), S. 51-54.
5 Zur Interdependenz der Einflussfaktoren Personal-, Unterrichts- und Organisationsentwicklung im Drei-Wege-Modell der Schulentwicklung vgl. Rolff, H.-G. (2021), S. 166 f.
6 Das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW betont den hohen Stellenwert der digitalen Transformation für Lehrkräfte an Berufskollegs. Vgl. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2021), S. 22.

Dr. Sandra Pasch

Mitglied des Arbeitskreises Digitale Medien

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