Personaloffensive 2022 – in der neuen Legislaturperiode dem erwarteten Lehrkräftemangel an den Berufskollegs vorbeugen

vLw bei Sachverständigenanhörung im Landtag

Am 2. Februar fand eine gemeinsame Sitzung des Wissenschaftsausschusses und des Ausschusses für Schule und Bildung im Landtag statt, die sich mit einer Sachverständigenanhörung zum Antrag der SPD-Fraktion „Die bevorstehende Bildungskatastrophe an berufsbildenden Schulen abwenden – neue Wege für die Personalgewinnung gehen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften in die Ausbildung von Lehrkräften einbinden!“ auseinandersetzte.

Die Ausgangssituation:

Ein enormer Lehrkräftemangel bis 2030

Die zahlreichen Expertinnen und Experten aus Hochschulen, Universitäten, Gewerkschaft und Lehrerverbänden waren sich einig, dass die Politik in der neuen Legislatur­periode auf die enormen Herausforderungen reagieren muss.

So ist in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger für das Lehramt an Berufskollegs gegenüber dem Jahr 2020 gesunken und reduziert damit die Zahl der originär ausgebildeten Lehrkräfte mit dem Lehramt für die Berufskollegs. Darüber hinaus hat das Schulministerium bereits 2018 mit einer Prognose auf eine Einstellungslücke von ca. 200 neuen Lehrkräften pro Jahr hingewiesen, die sich aus der Altersstruktur und der daraus resultierenden Pensionierungswelle bis 2030 ergibt. D. h., statt der 700 benötigten Lehrkräfte pro Jahr würden nach dem Stand von 2018 nur 500 jährlich fertig werden.

Lehramtsbezogen prognostizierte das Schulministerium bereits 2018 für die nächsten 10 Jahre einen besonders hohen Einstellungsbedarf für die beruflichen Fachrichtungen Elektrotechnik, Maschinenbau, Kfz-Technik, Bautechnik, Chemietechnik, Hauswirtschaft- und Ernährungstechnik sowie Sozialpädagogik.

Aufgrund zusätzlicher Aufgaben (wie z. B. einer zunehmenden Inklusion in vielen Berufskollegs) und neuer Schüler-Lehrer-Relationen (z. B. in den beruflichen Gymnasien) muss diese Prognose aber auch für die wirtschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen korrigiert werden.

Hier zweifelt nicht nur der Bildungswissenschaftler Klaus Klemm die Prognosen der KMK aus dem Jahr 2020 an, die insbesondere den Wandel in den Bildungssystemen nur unzureichend berücksichtigen. Auch die Expertinnen und Experten betonten in der Anhörung am 02.02.2022 eindringlich diesen Handlungsdruck.

Universitäre Ausbildung als zentraler Weg

Der vLw unterstützt die vorgetragene Einschätzung und hält den sich abzeichnenden Lehrkräftemangel auch für die kaufmännisch orientierten Berufskollegs für eine der größten Herausforderungen im Schulsystem.

Die bereits zitierten Prognosen des MSB (2018) und der KMK (2020) unterstreichen, dass das Regelsystem den Bedarf an Lehrkräften in den nächsten 8 Jahren nicht decken kann. Dies kann durch die Empfehlung der Ständigen wissenschaftlichen Kommission der KMK weiter untermauert werden.

Im Mittelpunkt der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen muss die bisherige, grundständige universitäre und schulbezogene Ausbildung mit zwei Phasen stehen, die um innovative Elemente und Aktivitäten ergänzt werden muss.

Die Ausbildung an Universitäten gewährleistet nicht nur das notwendige hohe Niveau an theoretischen Fachkenntnissen, die für die zielorientierte Vermittlung beruflicher Handlungskompetenz und somit für eine erfolgreiche Berufsausübung im Bereich der beruflichen Schulen unerlässlich sind. Sie garantiert auch die dringend notwendige Ausbildung und Einstellung von Lehrkräften, die neben einer beruflichen Fachrichtung ein Unterrichtsfach wie z. B. Deutsch, Englisch und Mathematik studiert haben.

Darüber hinaus stellte diese Art der Ausbildung einen Sonderweg zur Ausbildung von Lehrkräften an Berufskollegs dar, der die essenzielle Flexibilität des Wechsels zwischen dem Lehramt Gymnasium/Gesamtschule und dem Lehramt Berufskolleg beeinträchtigte. Gemeinsame fachdidaktische Seminare für Studierende verschiedener Lehrämter können – nicht nur in berufsübergreifenden Fächern – das Verständnis für andere Schulformen fördern und später z. B. einen Wechsel zwischen Gymnasium und Berufskolleg erleichtern. Des Weiteren muss ein nordrhein-westfälischer Sonderweg vermieden werden, der den Standards der KMK zuwiderläuft.

Deswegen rät der vLw von einer stärkeren Ausbildung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften ab und empfiehlt stattdessen eine aktive Politik, die innovativ neue Wege geht, um dem absehbaren Mangel an Lehrerinnen und Lehrern präventiv zu begegnen.

Flankierend neue und innovative Wege

Diese innovative Politik sollte u. a. umfassen:

a)
das Modell des dualen Masterstudiums für das Lehramt an Berufskollegs als neue Möglichkeit einer Regelausbildung für alle (großen) beruflichen Fachrichtungen.

b)
die Möglichkeit, befristet auf maximal ein Jahr ohne Aufnahme einer OBAS-Ausbildung an einem Berufskolleg zu unterrichten, um Arbeit und Strukturen kennenzulernen, um sich dann erst für oder eben auch gegen den Schuldienst entscheiden zu können (inklusive der dazu zusätzlich erforderlichen Ressourcen zur schulinternen Begleitung).

c)
Attraktivitätssteigerung im Vorbereitungsdienst für grundständig ausgebildete Absolventinnen und Absolventen, z. B. durch die Einführung einer Wahlstation während des Vorbereitungsdienstes. Das könnte die Arbeit an einer anderen Schulform sein, die Arbeit im Personalbereich eines Unternehmens oder auch die Arbeit an einer Schule in einem anderen EU-Land.

d)
eine Flexibilisierung der bestehenden universitären Ausbildung, um einen Wechsel oder ein zusätzliches Studium zum Master of Education (z. B. aus einem Lehramt für Gymnasien) zu ermöglichen.

e)
eine strukturierte Begleitung der Berufseinstiegsphase unter angemessenen Rahmenbedingungen sowie ein breites, schulformspezifisches Angebot an Fort- und Weiterbildung inklusive der Schaffung angemessener Rahmenbedingungen zur kollaborativen Weiterbildung.

f) 
die Wiedereinführung der Kombinationsmöglichkeit von großer beruflicher Fachrichtung (§ 5 Abs. 4 LZV) und einem (kleineren) allgemeinbildenden Unterrichtsfach.

Mehr Ressourcen für Berufskolleg und Hochschule bzw. Universität

Für diese Personaloffensive fordert der vLw zusätzliche Ressourcen in der nächsten Legislaturperiode. Dazu gehören u. a. in den Universitäten und Hochschulen zusätzliche Studienplätze, die durch das Land, wie z. B. in Dortmund geschehen, finanziert werden. Die Berufskollegs benötigen einerseits geeignete Einstellungskorridore und Stellenkontingente über den Stellenbedarf hinaus, die z. B. ab 2030 mit einem „k. W.“-Vermerk versehen und dann langsam abgebaut werden können. Dies kann unbürokratisch über eine jährliche um 2 % steigende Stellenreserve bis zum Jahr 2026 auf 10 % erfolgen. Diese Stellenreserve würde einerseits eine kontinuierliche, mittelfristig orientierte Einstellung sichern und zugleich die Belastungen bei der Betreuung bzw. Begleitung der jungen Kolleginnen und Kollegen reduzieren.

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Ungeachtet möglicher Mehrheitsverhältnisse nach dem 15. Mai 2022 muss allen Verantwortlichen klar sein, dass die neue Koalition nur mit einer Personaloffensive für die Lehrkräfte an den Berufskollegs den Fachkräftebedarf sichern und die Wirtschaft in NRW stärken kann.

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Hilmar von Zedlitz-Neukirch

Landesvorsitzender

und

Andreas Ratzmann

Vorsitzender des Ausschusses Lehrerausbildung

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