Aus dem Landesvorstand

Neue Zusatzqualifikation „Digitalität in der beruflichen Bildung“

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende…

Das war wohl das Motto bei der sehr kurzfristigen Abschaltung des Servers für den EDV-Führerschein NRW im Sommer 2022. Mit einer Mail wurden die Beauftragten der Berufskollegs eine Woche vor der Abschaltung des Servers informiert, dass alle Daten zu sichern sind und die Online-Prüfungsmodule nicht mehr zur Verfügung stehen. Als Gründe wurden die zu überarbeitenden Prüfungsinhalte sowie datenschutzrechtliche Bedenken genannt. Beauftragt war bis zu diesem Zeitpunkt das Rheinisch-Westfälische Berufskolleg in Essen.

Der Hinweis, dass die Online-Prüfungen eigenverantwortlich als Offline-Prüfungen durchgeführt werden konnten oder man sich im Internet nach kostenfreien Alternativen umschauen konnte, war für die meisten Betroffenen wohl wenig hilfreich.

Nun standen die Berufskollegs in NRW also vor der Situation, dass die digitalen Kompetenzen nicht mehr standardisiert und kostenlos mit einem Zertifikat geprüft und bescheinigt werden konnten. Erst einmal entstand also eine Lücke, welche die Berufskollegs nur in Eigenregie füllen konnten –  eine undankbare und kaum lösbare Situation.

Gut ein Jahr verging und nun war er im Sommer ebenso plötzlich da, wie der EDV-Führerschein verschwunden ist: der Runderlass „Digitalität in der beruflichen Bildung“. In Kraft getreten ab dem 01.08.2023. Ein bisschen also ein Anfang mit Schrecken …

Was sieht dieser Erlass nun genau vor?

„Die Berufskollegs werden ermächtigt, auf freiwilliger Basis ihren Schülerinnen und Schülern im Rahmen der Zusatzqualifikation (…) am Berufskolleg erworbene Kompetenzen nach Maßgabe des Erlasses, unabhängig von einer Benotung im besuchten Bildungsgang, zu zertifizieren. Der Erwerb dieser Handlungskompetenzen kann im berufsbezogenen, im berufsübergreifenden Lernbereich und/oder im Differenzierungsbereich erfolgen. Die Zusatzqualifikation ist für 80 Unterrichtstunden konzipiert und umfasst fünf Anforderungssituationen. Sie ist in 20 Unterrichtsstunden durchführbar, sofern die Anforderungssituationen 1 bis 4 in den übrigen Lernbereichen angemessen integriert sind.“ (BASS 13-33 Nr. 9)

Die Anforderungssituationen in der Anlage des Erlasses geben eine grobe Vorstellung von den zu vermittelnden Kompetenzen und einige Beispiele von erwarteten Handlungsprodukten. Am Ende wartet ein Zertifikat, welches im Erlass ebenfalls als Muster enthalten ist.

Nach einem Jahr Leerlauf gibt es also wieder eine Möglichkeit der Zertifizierung von digitalen Kompetenzen – so weit, so gut.

Allerdings unter stark veränderten Bedingungen, welche die Schulen eigenständig umsetzen müssen. Hier stellen sich den Verantwortlichen auf den ersten Blick viele Fragen zur konkreten Umsetzung:

  • Gibt es für die jeweiligen Bildungsgängen die Möglichkeit, die Stundentafel entsprechend auszuweiten, z. B. mit einem Differenzierungskurs? Und wenn ja: um welche Stundenzahl? Gerade im Bereich des dualen Systems ist hier nicht viel Spielraum bei der Wochenstundenzahl.
  • In vielen Bildungsgängen auch im Vollzeitbereich, sind die Stundentafeln bereits ausgereizt und die Klassen haben volle Pläne. Wo können hier Spielräume geschaffen werden?
  • Kann die Stundenzahl von Fächern des berufsbezogenen Bereiches um die im Erlass genannte Stundenzahl aufgestockt werden?
  • Wie könnte eine Umsetzung unter Einbeziehung des berufsübergreifenden Bereichs aussehen?
  • Die Chancengleichheit scheint nicht für alle gegeben, da die Integration bei einigen Bildungsgängen aufgrund der Lehrplaninhalte leichter fällt als bei anderen. Wie kann man dem entgegenwirken?

Aber weder gibt es Unterstützung in Form von Implementationsveranstaltungen noch ein Fortbildungs- oder Workshopangebot, geschweige denn zeitliche Ressourcen zur Ausgestaltung und Umsetzung in den Bildungsgängen. Auch vorbereitete Materialien zur Ausgestaltung der Anforderungssituationen sind nicht zu finden. Hier wäre eine Unterstützung durch QUA-LiS NRW wünschenswert.

Dies erzeugt bei vielen Kolleginnen und Kollegen zunächst viele Fragezeichen und auch Unverständnis, dass wieder einmal sehr kurzfristig eine weitere Aufgabe dazukommt, ohne dass eine geeignete Unterstützung in Sichtweite ist.Natürlich kann man nun argumentieren, dass die Zertifizierung durch die Berufskollegs freiwillig erfolgt. Aber sollten nicht alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit zum Erwerb dieses Zertifikates haben?

Und wie hoch sind die Hürden an den einzelnen Schulen? Die Anforderungssituationen lassen hier viel Spielraum und eine Vergleichbarkeit wie bei den bisher einheitlichen Prüfungsmodulen ist nicht mehr gegeben. Insofern stellt sich die Frage, ob das Zertifikat am Ende außerhalb des Schulsystems überhaupt Anerkennung findet. Ein Zertifikat sollte immer einen Standard setzen, der aber auch standardisierte Materialien erfordert.

Es stellt sich auch die Frage, ob das Zertifikat (wie bisher einige Module des EDV-Führerscheins) eine Anerkennung in der Fachschule finden kann.

Generell ist ein Zertifikat, das die digitalen Kompetenzen bestätigt, welche an allen BKs immer schon selbstverständlich vermittelt werden, wünschenswert. Aber nicht unter diesen Bedingungen der Einführung und Umsetzung!

Für eine erfolgreiche Einführung des Erlasses ist also noch viel zu tun. Wünschenswert wäre eine konkretisierende Handreichung mit Implementationshinweisen, Praxisbeispielen und ausgearbeiteten Lernsituationen. Ebenso hilfreich für die Lehrkräfte wären außerdem Fortbildungsveranstaltungen, die Zeit und Raum bieten für den Austausch untereinander, die Präsentation von Best-Practice-Beispielen und die Nutzung von Synergieeffekten in einem System, in welchem Kolleginnen und Kollegen viel zu oft auf sich allein gestellt sind, wenn es um die Umsetzung von neuen Anforderungen geht.

Es ist bei den immer weiter steigenden dienstlichen Belastungen und dem vorherrschenden Lehrkräftemangel kaum noch tragbar, dass sehr kurzfristig immer neue Anforderungen an die Berufskollegs herangetragen werden, ohne entsprechende Unterstützungen von Beginn an einzuplanen.

Der vLw wird sich weiterhin an den geeigneten Stellen dafür einsetzen, dass Entlastungen und Arbeitserleichterungen für die Lehrkräfte an Berufskollegs mitgedacht werden, und konkrete Antworten auf die offenen Fragen einfordern.

Was ist Ihre Meinung zum Erlass? Haben Sie bereits Erfahrungen bei der Umsetzung gesammelt? Schreiben Sie uns hierzu gerne persönlich eine Nachricht an:

beatrix.heithorst@vlw-nrw.de

miriam.rothausen@vlw-nrw.de

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Beatrix Heithorst

Vorsitzende Ausschuss

Schul- und Bildungspolitik

Miriam Rothausen

stellv. Landesvorsitzende

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