Stellungnahme an das MSB im Rahmen der Verbändebeteiligung zu den Vorgaben für den Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung an allen Lernorten

Umfassende curriculare Vorgaben – Unterstützungsangebote aber essenziell

 

Zur Erfüllung der Berufsschulpflicht schließt sich für Schüler/-innen mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung die Sekundarstufe II an, die an einem Berufskolleg im Bildungsgang Ausbildungsvorbereitung absolviert werden kann. Für das Aufgabenfeld Mathematik, das Aufgabenfeld Sprache und Kommunikation und die Entwicklungsbereiche Motorik, Wahrnehmung, Kognition, Sozialisation und Kommunikation sind die Richtlinien und curricularen Vorgaben im zieldifferenten Bildungsgang neu entwickelt worden. Dies ist vor dem Hintergrund der 2009 in Kraft getretenen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und der von der Kultusministerkonferenz herausgegebenen Empfehlungen zur „Inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ (KMK 2011) sowie der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur schulischen Bildung, Beratung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (KMK 2021) nur konsequent. 

Ziel der neuen Vorgaben ist der quantitative und qualitative Ausbau inklusiver Bildungsangebote an allen Lernorten in NRW. Die Richtlinie und die Vorgaben zielen auf die Förderung entwicklungs-, fach- und lebensweltbezogener Kompetenzen der Schüler/-innen, die jeweils Bestandteil der individuellen Lern- und Entwicklungsplanung sind. Ziel des Bildungsgangs ist die Partizipation der Schüler/-innen in allen Lebensbereichen, das bedeutet fachliche Bildung, aktive Teilnahme in allen Lebensbereichen und ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung und Selbstständigkeit.

Die enorme Herausforderung im Rahmen der curricularen Vorgaben für das Aufgabenfeld Mathematik, für das Aufgabenfeld Sprache und Kommunikation und für die Entwicklungsbereiche Motorik, Wahrnehmung, Kognition, Sozialisation und Kommunikation besteht in den individuellen Förderplanungen, die an den subjektiven Bedürfnissen und Bedarfen der heterogenen Schülerschaft ausgerichtet und Grundlage der Unterrichtsplanung und Durchführung sind. Die neuen Lehrpläne sind einerseits verbindliche Grundlage, öffnen aber auch den notwendigen Raum für die weitere schulspezifische Ausgestaltung und Freiräume für Vertiefung und aktuelle Entwicklungen.

Die Ausführungen zum Umgang mit Leistungen der Schüler/-innen folgen der Forderung nach einer verstärkten Berücksichtigung individueller Leistungsmessung, die Leistungsbewertung der Schüler/-innen erfolgt folgerichtig nach der individuellen Bezugsnorm. 

Einen wichtigen Beitrag leisten die Richtlinie und die curricularen Vorgaben auch für die Gestaltung von Übergängen und insbesondere eine mögliche nachschulische Anschlussperspektive der Schüler/-innen im zieldifferenten Bildungsgang. Die Richtlinie zeigt die notwendigen Aufgaben und Kooperationspartner auf, die curricularen Vorgaben geben auch Spielraum, Verknüpfungen zu den Lehrplänen der allgemeinen Schulen herzustellen.

Berufskollegs haben eine lange Erfahrung im Umgang mit Schüler(inne)n mit unterschiedlichsten Bedarfen, aktuell gibt es aber erst an wenigen Berufskollegs spezifische Angebote für den Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung, sodass es in den Lehrerkollegien an Erfahrung fehlt. Voraussetzung für einen erfolgreichen Unterricht im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung an allen Lernorten ist neben der kompetenzorientierten Lern- und Entwicklungsplanung eine prozessbezogene Diagnostik mit der entsprechenden individuellen Dokumentation.

Die Personengruppe, die im Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“ gefördert wird, ist sehr heterogen und hat möglicherweise auch körperliche Beeinträchtigungen oder auch komplexe Behinderungen. Dies erfordert zusätzliche individuelle Beratungs-, Therapie-, Pflege- und Assistenzangebote. Darüber hinaus müssen die Schulgebäude barrierefrei sein, um den Schüler(inne)n den Zugang zu allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Ein inklusiver Lernort berücksichtigt die räumliche, sprachliche und digitale Barrierefreiheit.

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Die curricularen Vorgaben für das Aufgabenfeld Mathematik, Sprache und Kommunikation sowie die Entwicklungsbereiche Motorik, Wahrnehmung, Kognition, Sozialisation und Kommunikation erfordern eine intensive Begleitung der Lehrkräfte durch professionell ausgebildete Fachkräfte, u. a. Sonderpädagog(inn)en für die fortlaufende Diagnostik. Es muss sichergestellt werden, dass der zusätzliche Bedarf an individuellen Schulbegleiter(inne)n, Integrationshelfer-(inne)n, ergänzenden Pflegekräften sowie Personal zur Unterstützung im Rahmen der Eingliederungshilfe gedeckt ist. Notwendig sind für die Berufskollegs auch klare Strukturen und Verfahrensweisen für die Beantragung und Umsetzung von Leistungen, sodass ab dem ersten Schultag die Begleitung der Schüler/-innen gesichert ist. 

Eine erfolgreiche Umsetzung der curricularen Vorgaben für den Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung setzt aufgrund der o. a. Ausführungen an jedem beteiligten Berufskolleg einen Schulentwicklungsprozess zur inklusiven Schule voraus, an dem neben den direkten Beteiligten auch das Gesamtkollegium mitgenommen werden muss. Das Themenheft „Auf dem Weg zur Erstellung eines inklusiven Schulprogramms: Roter Faden zur Prozesssteuerung“ (hrsg. von der Bezirksregierung Düsseldorf, September 2021) ist eine wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung.

Für gelungene Übergänge sind Vernetzungen zu Kooperationspartnern und Integrationsfachdienste essenziell. Dies alles erfordert für die Berufskollegs zeitliche Ressourcen und intensive Fortbildungen.

Zur qualitativen und systemischen Absicherung sowie Bündelung von Ressourcen erscheint es sinnvoll, Schwerpunktschulen analog zur Primar- und Sekundarstufe zu bilden.

Der vLw NRW begrüßt insofern ausdrücklich die geplanten Unterstützungsangebote über den Lehrplannavigator und Implementationsmaßnahmen im Schuljahr 2022/23, weist aber eindrücklich auf die zusätzlich erforderlichen Ressourcen dafür hin.

Insgesamt sind die Richtlinie und die curricularen Vorgaben umfassend und bieten eine fundierte Grundlage für die komplexe Arbeit im zieldifferenten Bildungsgang. 

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Beatrix Heithorst

Vorsitzende des Ausschusses
Schul- und Bildungspolitik

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